Forum Winterthur

05.11.2025 | Rolf Gloor / Dr. Ralph Peterli
Blindflug der Märkte

Die Finanzmärkte zeigen sich erstaunlich unbeeindruckt – von schwächerem Wachstum, politischem Druck und institutionellen Risiken. Während sich die Fundamentaldaten eintrüben, halten viele Anleger am gewohnten Narrativ steigender Kurse fest. Doch die Anzeichen mehren sich, dass die Märkte zunehmend im Blindflug unterwegs sind.

Die globale Konjunktur bleibt fragil. In den USA schwächt sich das Wachstum sichtbar ab, Europa stagniert, und auch in China fehlt weiterhin der Schwung für einen nachhaltigen Aufschwung. Zugleich steigt die politische Unsicherheit – vom Handelskonflikt über institutionelle Eingriffe bis hin zu wachsenden geopolitischen Spannungen. Trotz dieser Risiken wirken die Börsen erstaunlich gelassen – als wollten sie unbequeme Wahrheiten einfach ausblenden.

Die US-Wirtschaft verliert weiter an Fahrt. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen hat sich in kurzer Zeit drastisch reduziert, das Investitionsklima ist schwach und die Konsumentenstimmung gedrückt. Gleichzeitig attackiert Präsident Trump erneut unabhängige Institutionen – zuletzt die Notenbank und das Arbeitsstatistikamt. Der zunehmende Zoll- und Preisdruck dürfte sich in den kommenden Monaten stärker auf die Konsumenten auswirken. Die Märkte jedoch ignorieren diese Warnsignale und preisen stattdessen Zinssenkungen ein. Gold und inflationsgeschützte Anleihen profitieren als stille Gewinner der Unsicherheit.

In China stabilisiert sich die Lage auf niedrigem Niveau. Industrie und Dienstleistungssektor zeigen zwar leichte Verbesserungen, doch die Binnenkonjunktur bleibt verhalten und der Immobilienmarkt schwach. Die Deflationsrisiken sind vorerst gebannt, doch die Wachstumsdynamik bleibt zu gering, um global spürbare Impulse zu setzen.
Die Eurozone steckt weiterhin in einer Wachstumsflaute. Während sich die Stimmungsindikatoren leicht aufhellen, bleiben Produktion und Auftragseingänge verhalten. Besonders Deutschland leidet unter strukturellen Schwächen, während die politische Unsicherheit in Frankreich die wirtschaftliche Erholung zusätzlich verzögert. Die Kerninflation verharrt bei 2.3 % und eine rasche geldpolitische Wende ist nicht in Sicht.

Auch in der Schweiz mehren sich die Anzeichen einer Abkühlung. Exportbranchen leiden unter US-Zöllen und schwächerer Nachfrage, die Binnenkonjunktur stagniert. Die Inflation bleibt mit 0.2 % tief, und die jüngste Senkung des Referenzzinssatzes dürfte den Preisdruck weiter mindern. Die Schweiz bleibt zwar stabil, aber ohne echte Wachstumsimpulse.
Die Märkte befinden sich im Blindflug – getragen von Zuversicht, aber ohne klare Orientierung an den Fundamentaldaten. In solchen Phasen ist es entscheidend, Instrumente zu nutzen, die auch ohne Sichtflug funktionieren: eine disziplinierte Anlagestrategie und eine breite Diversifikation. Wie in der Fliegerei gilt auch an den Finanzmärkten – wer seine Instrumente kennt und ihnen vertraut, bleibt auch bei Turbulenzen auf Kurs.

Winterthur Consulting Group AG
Rolf Gloor / Dr. Ralph Peterli

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