Schweizer Löhne wachsen überproportional
Traditionell zu dieser Jahreszeit positionieren sich v.a. die Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen an die Arbeitgeber. Regelmässig wird dabei das Wachstum der Schweizer Löhne als unzureichend bezeichnet. Häufig wird aber übersehen, dass die für einen Vollzeitlohn geleisteten Arbeitsstunden gesunken und Produktivitätssteigerungen zunehmend in Form von mehr Freizeit genutzt werden. Berücksichtigt man den Effekt zeigt eine aktuelle Studie von Wellershoff & Partners*, dass die Löhne seit der Jahrtausendwende sogar gestiegen sind.
Löhne differieren nach Branchen, Ausbildung und Erfahrung der Arbeitnehmenden. Sie haben Einfluss auf Arbeitsbereitschaft, Kaufkraft und Lebensstandard und werfen Fragen zur sozialen Gerechtigkeit auf, so erstaunen die teilweise hitzigen alljährlichen Diskussionen nicht. Gewerkschaften monieren oft, dass die Reallöhne der Schweizer Bevölkerung in den letzten zehn Jahren deutlich zu wenig gewachsen sind und fordern teilweise 4-5% Lohnerhöhungen für das nächste Jahr.
Johannes von Mandach und Carla Ganzoni berücksichtigen in ihrer Analyse* wie viele Stunden wir arbeiten und wie produktiv wir in dieser Zeit sind. Die Oekonomen sprechen dabei von Wertschöpfung. In den letzten 23 Jahren ist die Produktivität im Schnitt um 0.7% gestiegen. Einzelne Branchen wie die Chemie- und Pharmaindustrie leisteten dabei einen überproportionalen Beitrag. Pro Vollzeitstelle werden heute aus verschiedenen Gründen (Rückgang Arbeitszeit, Abnahme Ueberstunden, mehr Ferientage, steigende Absenzen) rund 190 Arbeitsstunden p.a. weniger geleistet als zur Jahrtausendwende. Dies entspricht einer Reduktion von rund 0.4% p.a. Als positive Auswirkung bleibt den Arbeitnehmenden mehr Zeit für Freizeit, Hobbies, Freunde und Familie.
Andererseits hat eine kürzere Arbeitszeit auch Auswirkungen auf die Löhne. Je weniger gearbeitet wird, desto weniger können Löhne ansteigen. Seit dem Jahr 2000 sind die Löhne trotzdem durchschnittlich gut 0.5% p.a. angestiegen. In anderen Worten haben sich Arbeitnehmende – im Durchschnitt – die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahre in Form von 0.5% höheren Löhnen und 0.4% geringerer Arbeitszeit pro Jahr auszahlen lassen. Von unfairen Unternehmen, die zu Lasten der Arbeitnehmenden höhere Gewinne einstreichen, kann also nicht die Rede sein. Diese haben höhere Löhne bezahlt und Arbeitszeitreduktionen hingenommen. Beides zusammen lag über der Produktivitätssteigerung. Als Konsequenz ist die Rendite auf Fremd- und Eigenkapital der Unternehmen unter Druck geraten.
Der Lohnherbst verspricht Spannung: Arbeitnehmer und Arbeitgeber liegen in ihren Vorstellungen derzeit weit auseinander. Angesichts der aktuellen konjunkturellen Herausforderungen kämpfen einige Branchen mit widrigen Umständen. In der betrieblichen Realität braucht es eine vernünftige Gewinnmarge, damit Unternehmer höhere Löhne zahlen oder generell Arbeitsplätze überhaupt anbieten können.
*Quelle: W&P Current Perspectives, 2024/08
Dr. Ralph Peterli, HAW / Rolf Gloor Winterthur Consulting Group AG
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