08.12.2020

Revision der Winterthurer Gemeindeordnung - Stadtammann- und Betreibungskreise quo vadis?

Der Gemeinderat debattiert derzeit in einer Spezialkommission über die neue Gemeindeordnung der Stadt Winterthur. Die künftige Organisation der Stadtammann- und Betreibungsamtkreise ist dabei ein wichtiges Thema. Doch was sind eigentlich die Aufgaben des Betreibungswesens und des Stadtammanns? Roland Isler klärt auf.

Das Betreibungswesen und die Aufgaben des Stadtammanns sind Teilaufgaben der kantonalen Rechtspflege, die durch die Gemeinde erfüllt werden. Die Ämter sind als Teil der Stadtverwaltung organisatorisch und personell dem Stadtrat unterstellt. Die fachliche Aufsicht obliegt dem zuständigen Bezirks- und Obergericht (duale Aufsicht).

Die Aufgaben und Tätigkeiten der Betreibungsämter sind:

  • Durchführung von Schuldbetreibungsverfahren
  • Erteilen von Auskünften aus dem Betreibungsregister
  • Vollzug von Retentionen und Arresten
  • Verwertung von gepfändeten und retenierten Gegenständen sowie von Faust- und Grundpfändern
  • Führen des Eigentumsvorbehaltsregisters

Im Kanton Zürich fungiert der Betreibungsbeamte zugleich als Gemeinde- bzw. Stadtammann. In keinem anderen Kanton der Schweiz gibt es diese kombinierte Funktion. Als Organ der Rechtspflege ist der Gemeinde- bzw. Stadtammann insbesondere auch für die Vollstreckung zivilrechtlicher Ansprüche vorgesehen.

Zu den Aufgaben des Gemeinde- bzw. Stadtammann gehören:

  • Befundaufnahme über den tatsächlichen Zustand, als Beweissicherung für
  • ein späteres Gerichtsverfahren. Als Beispiel sei hier besonders erwähnt, die Rissaufnahmen bei Bautätigkeiten. Vor- und nach Um- und Neubauten, werden bei den umliegenden Gebäude Risse und Schäden aufgenommen.
  • Der Gemeinde- bzw. Stadtammann muss als neutrale Person Feststellungen aufnehmen.
  • Beglaubigung von Unterschriften/Handzeichen/Fotokopien
  • Vollstreckung richterlicher Anordnungen (z. B. Räumungen von Arealen, Ausweisungen von Mietern, gerichtliche Verbote etc.)
  • Zustellungen in zivilen und gerichtlichen Angelegenheiten


So wird gewählt

Der Stadtammann und Betreibungsbeamte wird vom Volk gewählt, was auch in Zukunft so bleiben sollte. Da Schuldbetreibung und Konkurs zur dritten Staatsgewalt gehört, sollten die dafür zuständigen Vollzugspersonen nicht von der zweiten Staatsgewalt, der Exekutive, abhängig sein bzw. ernannt werden. Die Gewaltentrennung hat ihren guten Grund. Aufgabe der dritten Gewalt ist unter anderem, die Arbeit der zweiten Gewalt, der Exekutive, zu kontrollieren.

Etwa ein Drittel der Betreibungen finden heutzutage für öffentlich-rechtliche Forderungen statt, beruhen also auf Verfügungen betreffend Forderungen des Gemeinwesens (Verwaltung), sprich der Exekutive. Werden die Betreibungsbeamten vom Exekutivorgan (SR) angestellt, geht die Unabhängigkeit verloren, die sie wie ein Richter für die Ausübung ihrer Tätigkeit brauchen. Fehlt diese Unabhängigkeit, können vorerwähnte Fälle nicht nach freiem Ermessen ausgeführt werden.

Auch als Stadtammann (Betreibungsbeamter) hat man die in §143 ff. des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG) erwähnten Aufgaben auszuführen. Diese beruhen insbesondere auf der Zivilprozessordnung.

Für die Vornahme eines amtlichen Befundes oder die Vollstreckung eines Gerichtsurteils braucht es das Ermessen und damit die Unabhängigkeit des Stadtammanns. Muss man einen Entscheid im Auftrag der Stadtgemeinde durchführen (z. B. Haus- bzw. Arealräumungen, Bereinigungen nachbarrechtlicher Streitigkeiten, Mitwirkung bei Wettbewerben im Bau- oder Polizeigebäude, Schulhäuser etc.) ist die Gewaltentrennung bzw. Unabhängigkeit/Neutralität unabdingbar.

Als Vergleich kann die Funktion des Notars/Konkursbeamten im Kanton Zürich herangezogen werden. Notare/Konkursbeamte und Stadtammänner/Betreibungsbeamte haben ähnliche Aufgaben in ihrem Tätigkeitsbereich. Sie sind ebenfalls ein Teil der Rechtspflege und haben die gleichen Aufsichtsbehörden. Als Stadtamman und Betreibungsbeamter kann nur gewählt werden, wer ein Fähigkeitsausweis (Wahlfähigkeitszeugnis) besitz, welcher vom Obergericht des Kantons Zürich ausgestellt wird.


Stadtammannamts- und Betreibungskreise in der Stadt Winterthur

Der Regierungsrat legt grundsätzlich die Kreise fest. Bei der Reorganisation vor knapp über 10 Jahren hat die Regierung klare Vorgaben zur Kreisgrösse gemacht. Es war damals ein grosses Anliegen der Regierung und des Obergerichtes, dass keine grossen Kreise gebildet werden. 

Die für die Vollstreckungsarbeit wichtige "Bürgernähe" ist entsprechend zu gewichten. Durch den stetig engen und persönlichen Kontakt mit den Schuldnern auf dem Amt, der Strasse sowie am Wohnort, kann die tatsächliche Situation der Schuldner nicht nur in schuldentechnischer, sondern beispielsweise auch in familiärer Hinsicht verbessert werden, was sich mutmasslicherweise auch volkswirtschaftlich auswirkt. Bürgernähe kann auch deeskalierend wirken. Kleinere Einheiten kennen die Kundschaft und kennen die Gewaltbereitschaft einzelner Personen.  

Im Kanton Zürich gibt es 57 Gemeinde-/Stadtammann- und Betreibungsämter. In der Stadt Zürich hat jeder Stadtkreis ein eigenes Amt. In der Stadt Winterthur gibt es drei Amtsstellen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob das grösste Amt nicht aufgeteilt werden müsste, sodass vier Amtsstellen in Winterthur bestehen würden. Bei der Festlegung der Amtsgrössen wurden auch ökologischen Aspekte ins Feld geführt. Längere Zu- und Wegfahrtswege und grösseres Verkehrsaufkommen muss vermieden werden. Im Pfändungsverfahren werden die Schuldner primär aufs Amt vorgeladen und einvernommen. Fahrzeuge die gepfändet werden müssen, werden auf der Amtsstelle bewertet und allenfalls sichergestellt.

Bei der Reorganisation hat die Regierung und die Gerichte auch festgehalten, dass der im Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz enthaltene Auftrag nicht durch finanzpolitische Aspekte in den Hintergrund gedrängt werden darf.

Roland Isler, ehemaliger Stadtammann und Betreibungsbeamter

A.R. 11.02.2022, 22:56

"in erster Linie um Forderungen des Gemeinwesens" und "kennt die Gewaltbereitschaft", soso, ist dem so?

Dazu nur folgendes: Würde das Gemeinwesen dem Einzelnen etwas weniger abverlangen, dann müsste weder polizeilich noch vom Einzelnen Gewalt angewendet werden! Schon mal darüber nachgedacht? Aber so verkommen und verloren wie in Winterthur ist es echt nirgends. Da wird munter erpresst, gestohlen, gedroht, veruntreut, verleumdet, Notlagen ausgenutzt und Beweismittel zum Verschwinden gebracht, dass die Strafrechtler vom "Amt für Justiz und Inneres" ihre Freude dran hätten ...

Dieter Kläy 10.12.2020, 06:29

Bei der Wahl der künftigen Stadtammänner / Stadtammannfrauen ist darauf zu achten, dass sie wirklich unabhängig sind. Der heute sehr einseitig zusammengesetzte Stadtrat kann deshalb die Wahl nicht vornehmen. Nach wie vor soll das Volk zuständig sein.

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