12.11.2024
Canva HAW/Forum

Mehrheit der Arbeitnehmenden hat Erfahrungen mit psychischen Problemen

Im Ressort Arbeitgeber von HAW und KMU-Verband werden gesteigerte Absenzen am Arbeitsplatz regelmässig diskutiert und eine Zunahme von psychischen Erkrankungen vermutet. In der Folge haben Spezialisten der WorkMed AG im Auftrag der HAW und mit grosszügiger Unterstützung von SWICA eine Umfrage gemacht, mit dem Ziel zu erheben, wie sich die Situation bei der regionalen Wirtschaft darstellt. Anlässlich der Herbstversammlung der HAW wurden die Resultate nun präsentiert. Die Deutlichkeit der Aussagen hat selbst die Spezialisten der Studienautoren erstaunt.

Ziel der Befragung war, Daten und Erfahrungen zu psychischen Problemen zu erheben, Einflussfaktoren und Auswirkungen aber auch den Umgang und Problemsituationen kennenzulernen und Potentiale zu erkennen. Die Umfrage wurde auch in den Reihen der Zürcher Handelskammer publik gemacht. Letztendlich konnten 279 Fragebogen ausgewertet werden: je rund die Hälfte stammten von Kader- bzw. Nicht-Kader-Angestellten, sowie hälftig von Frauen bzw. Männern. Rund 87% sind in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden bzw. 30% in der Industrie sowie 70% im Dienstleistungsbereich beschäftigt.

Die Resultate überraschten selbst die Studienleiter: Mehr als die Hälfte der Befragten berichten von psychischen Problemen, fast immer haben diese eine Auswirkung auf die Arbeit (gilt auch für Personen mit Führungsfunktion); praktisch alle Befragten geben an, dass sie im privaten Umfeld mehrere Personen kennen, welche von psychischen Problemen betroffen sind. Grundsätzlich haben diese Probleme relevante Auswirkungen auf die Arbeit (Konzentration, Belastbarkeit etc.). Mehr als 75% meinen, dass die resultierenden Folgekosten in den letzten Jahren gestiegen sind. Die Gründe werden v.a. im gestiegenen Arbeitsdruck gesehen, aber auch in gestiegenen Empfindlichkeiten oder abnehmender Belastbarkeit. Auch soziale Medien spielen eine Rolle.

Gefragt auf die Faktoren der psychischen Probleme werden ein belastendes Betriebsklima, private Probleme/Belastungen, die Betriebskultur und diverse andere Themen genannt. Interessant ist, wie die effektive Situation beurteilt wird und dabei die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Führungskräften und Angestellten ohne Führungsfunktion. Private Probleme, Betriebskultur und störende Arbeitsbedingungen u.a.m. sind wichtig. In der Industrie wird die Problematik pointierter beurteilt.

Mit einer geschickten differenzierten Fall-Fragstellungen wird nach Lösungen gefragt, die auf die Unternehmenskultur zielen. Die Problemlösung wird durch eine offene Fehlerkultur begünstigt. Rund 2/3 der Befragten würde psychische Einschränkungen gegenüber Vorgesetzten offenlegen. 77% erinnern sich an erlebte Situationen und dabei sehr genau an Auffälligkeiten, wie z.B. eine tiefere Belastbarkeit, geringerer Energielevel oder Konzentrationsprobleme. Wesentlich ist, dass diese Meldung idR nicht bei erstmaliger Feststellung gemacht werden, dies wäre aber der klare Rat der Spezialisten.

In wenigen Unternehmen gibt es klare Orientierungen oder schriftliche Regeln, wie speziell mit psychischen Arbeitsproblemen umgegangen werden soll. Anders als bei sichtbaren Beeinträchtigungen fühlen sich mehr als 2/3 unsicher, wie zu handeln sei und rund die Hälfte gar ohnmächtig. Die Einschätzung wie Situationen gelöst wurden, divergieren zwischen Mitarbeitenden mit bzw. ohne Führungsfunktion. In der Pflicht sieht man insbesondere den Chef/HR, bzw. sieht auch eine Rolle der Mitarbeitenden selbst.

Nach der Präsentation der Resultate diskutierte Andreas Koller, Geschäftsleitungsmitglied SWICA, Jutta Kräutler, HR Transformation Partner AXA, Benedikt Schmid, Junge Mitte Schweiz, Alina Halank, Head of Corporate Services Sulzer und Christoph Stäheli, Leiter HR SWICA, der auch seine industrielle Erfahrung einbringt.

Das Pflegen der Unternehmenskultur ist in der heutigen Zeit vermutlich herausfordernder als zur Zeit der reinen Präsenzarbeit, bleibt aber wichtig. Gerade eine offene Fehlerkultur unterstützt positiv. Grossunternehmen haben für viele Fragestellungen Tools und/oder Spezialisten, die sich kleinere Unternehmen kaum leisten können. Auf der anderen Seite ist es allenfalls bei kleineren Unternehmen leichter, Nähe zu zeigen.

Hochrelevant ist die Früherkennung und die aktive Auseinandersetzung bei erkannten Problemen. Gerade die Versicherungsvertreter auf dem Podium haben das Privileg, Spezialisten (Case Manager) in den eigenen Reihen zu haben. Unternehmen, die keine eigenen Spezialisten haben, können sich bei erkannten Problemen auch an ihre Taggeldversicherer wenden und begleiten lassen. Auch die Rolle der behandelnden Aerzte ist wichtig. IdR schlägt der Case Manager die Brücke zum Arzt. Die HAW ist daran, zusammen mit der hiesigen Aerztegesellschaft, das qualifizierte Arztzeugnis wieder bekannter zu machen.

Es kann die Tendenz bestehen, dass Betroffene die Verantwortung an die Vorgesetzten delegieren. Hier hilft wiederum eine professionelle Unterstützung. Viele Vorgesetzte sind persönlich überfordert im Umgang mit Krankheitsfällen. Das unterstreicht wiederum die Wichtigkeit, Spezialisten rechtzeitig einzusetzen. Das Ressort Arbeitgeber wird die Thematik weiter vertiefen.

Originalbeitrag HAW,  8.11.24 (Studie am Ende des Beitrages)

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