29.09.2020

Linke Mehrheit baut weiter aus

Es ist gekommen, wie es bereits acht Jahre früher hätte kommen können: Die GLP hat der FDP den zweiten Stadtratssitz abgeknöpft, die GLP-Kandidatin Katrin Cometta ist als Winterthurer Stadträtin gewählt, die aktuellen Wähleranteile im Parlament sind damit auch im Stadtrat analoger abgebildet.

Auch wenn wir heute noch nicht wissen, wie Katrin Cometta konkret politisieren wird: Es besteht die Möglichkeit, dass Mitte-Links mit diesem Wahlergebnis den Stadtrat ab dem 12. Oktober 2020 in einem Verhältnis fünf zu zwei dominieren wird. Und auch wenn wir heute noch nicht wissen, wie die GLP mit der neuen Situation im Parlament umgehen wird: Mitte-Links verfügt auch im Gemeinderat über eine deutliche Mehrheit. Damit wird das Mitte-Links-Politspektrum seine politischen Ziele theoretisch strikt verfolgen können, ohne auf die bürgerliche Minoritäten Rücksicht nehmen zu müssen.

Günstige Krippenplätze, mehr günstige Wohnungen und mehr Tempo 30 - Anliegen wie diese kann sie so noch ungebremster verfolgen als bis anhin. Diese Themen kommen bei Städter/-innen offensichtlich gut an. Sie sind konkret spürbar und bringen Vorteile im konkreten Alltagsleben vieler Städter/-innen und diese scheinen bereit zu sein, einen Preis dafür zu zahlen.

Wer vorab mehr Freiheit und tiefere Steuern will, zieht ja auch schon länger aufs Land. Städte werden damit immer Linker, das Land wird immer Bürgerlicher, eine Begegnung dieser beiden Systeme findet, wenn, dann immer weniger und immer heftiger statt - im Ausland beispielsweise über eine Demonstrations-Konfrontation ländlicher «Gelbwesten» mit den urbanen Pariser/-innen.

Sie hatten einen Plan

Die SP hatte mit ihrer Wahlempfehlung der Grünliberalen Katrin Cometta zweifellos eine Absicht. Sie will wohl neben ihren klassischen Verbündeten wie den Grünen auch die Mitte weiter an sich binden, die EVP und zusätzlich nun auch die GLP. So baut sie ihre politische Vormachtstellung (drei von sieben Stadträt/-innen, 18 von 60 Gemeinderät/-innen) weiter aus.

Ein erster Meilenstein zum Machtausbau ist mit der Wahlempfehlung und anschiessenden Wahl Katrin Comettas kurzfristig zweifellos gelungen. Ob der Plan mittel- oder langfristig aufgehen wird, wird sich weisen müssen. Denn neben der Frage, wie die GLP  mit allen ihren Vertretungen mit der neuen Situation umgehen wird, sind die Antworten auf drei Fragen für die Gestaltung der politischen Zukunft aktuell noch offen:

  • Wie geht Mitte-Linke mit ihrer deutlich ausgebauten Mehrheitsposition um?
  • Spielen die Umstände weiter mit?
  • Und wie reagieren die politischen Mitbewerber auf der bürgerlichen Seite?

Zum ersten

Die Erfahrung lehrt uns, dass zu viel politische Macht übermütig machen kann. Nicht mehr verhandeln, Minderheitspositionen nicht mehr berücksichtigen müssen, weil man auch so über die nötigen Mehrheiten verfügt – dies schafft kurzfristig politischen Gestaltungsspielraum, kann aber, wenn man ihn zu sehr ausnützt, mittel- und langfristig starken Widerstand des gegenüberliegenden Pools hervorrufen. Folge davon kann ein Schwanken von einem politischen Extrem ins andere sein. Symptome dafür waren die Abwahl jeweils eines gewählten Stadtratsmitglieds eines politischen Pools bei den ordentlichen Wahlen in den letzten Jahren.

Zum Zweiten

Nordische Länder leben uns das in Schweizer Städten abzeichnende urbane Modell bereits seit Jahren vor: Mehr staatliche Leistungen und den Allround-Versorger-Staat gegen hohe Steuern und Abgaben. Was aber passiert, wenn die Wirtschaft, die den Menschen Arbeitsplätze und damit die Chance auf Lohn bietet und dem Staat so Steuereinnahmen generiert, nicht mehr weiter brummt wie bisher? Was ist mit Corona? Wer bezahlt in einem solchen Fall die versprochenen staatlichen Leistungen, an die man sich gewöhnt hat? Wären die Menschen noch fähig und bereit für weniger staatliche Leistung, könnten und würden sie selbst wieder mehr Verantwortung übernehmen? Auch diese Fragen sind offen.

Damit zum Dritten

Die Wirtschaft, die Unternehmen, diejenigen also, die Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten schaffen, sind im Wording mancher Mitbürger/-innen vorab aus dem extremen linken politischen Spektrum bekanntermassen vor allem zu «Abzocker/-innen» und «Klimasünder/-innen» gestempelt worden, viel gesellschaftlichen Nutzen attestieren diese ihnen nicht. Öffentlichen Widerspruch aus dem gemässigteren Mitte-Links-Spektrum hört man kaum. Betroffene Kreisen und engagierte Arbeitgeber/-innen jedoch reagieren je länger umso intensiver - mit Resignation und Rückzug, auch aus Winterthur. Womit Arbeitsplätze und Steuereinnahmen aus städtischem Gewerbe potentiell gefährdet sind und sich der Stadt-Land-Graben weiter auftut. Damit steht die Frage im Raum: Ist und bleibt «Rückzug» die einzige Option auf bürgerlicher Seite?

Oder weiter viel «Pfupf»?

Oder gibt es Kräfte, die weiter anpacken, angreifen, sich einbringen, ihren Mehrwert auch in den aktuellen politsichen Umständen auch von bürgerlicher Seite weiter aufzeigen? FDP-Stadtratskandidat und Gemeinderats-Fraktionspräsident Urs Hofer ging als gutes Vorbild voran hat und ist trotz schwieriger Ausgangslage in den Ring gestiegen. Dafür gebührt ihm grosser Respekt!

Aber wir wissen es, man kann es drehen und wenden, wie man will: Das reicht nicht. Wenn bürgerliche Politik in Winterthur langfristig Erfolg haben will, braucht sie weiterhin einen Plan. Was will sie? Was steht für sie hinter den bekannten Schlagworten wie Freiheit und Eigenverantwortung konkret? Welchen Nutzen erwarten Anhänger/-innen dieser Werte vom Staat konkret? Wovon wollen ihre Wählergruppen wie Selbständige, Gastro-, Cleantech- und weitere Unternehmen und Kulturleute profitieren - ausser von „tiefen Steuern“ und „mehr Parkplätzen“? Und was wollen sie klar nicht? Wie mobilisiert man sie?

Dann gehören weiter verfeinerte und gefestigte Strukturen dazu. Wer arbeitet wie zusammen? Welche Rollen übernehmen welche Parteien, Verbände, Gemeinderäte, Stadträte? Wer spielt wem auch in Zukunft wie die Bälle zu? Und natürlich gehören auch auf bürgerlicher Seite professionelle und finanzierte Unterstützungsstrukturen her. Politik ausschliesslich im Milizsystem funktioniert im heutigen politischen Umfeld nicht mehr - auch nicht auf bürgerlichen Seite. Politische Geschäfte werden immer komplexer, Ansprüche an die Kommunikation immer höher - hundertprozent-Jobs und Politik lassen sich ohne Unterstützung nicht mehr organisieren, will man in der Politik erfolgreich mitmischen.

Für mich ist klar: Die bürgerliche Seite steht in Winterthur vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung wie in anderen Städten (siehe aktuelles Beispiel Basel, ähnliche Analyse in der NZZ vom 25.9.20) an einem Scheideweg: Gibt sie auf? Oder begibt sie sich bewusst lustvoll weiter in den politischen Kampf? Unterstützt man sich auch auf bürgerlicher Seite weiter gegenseitig? Ist man bereit, nötige Voraussetzungen für potentiellen Erfolg zu schaffen? Wie lange ist man bereit, durchzuhalten, bis sich dannzumal Erfolge einstellen?

Die nächste Chance ist schon fast da

Die SP ist an ihrem ‚Marsch durch die Institutionen‘ seit 1968 dran - das sind gut 50 Jahre!  Eine nächste Gelegenheit für ein Committement, für oder gegen weiteres politisches Engagement auf bürgerlicher Seite steht in Winterthur ja schon bald an: Die nächsten Kommunalwahlen sind in weniger als zwei Jahren!  Und danach sollte es weiter gehen! Es ehrt mich, dass ich die letzten vierzehn Jahre in der Winterthurer Politik mitprägen konnte, zuerst als Gemeinderätin, dann als Stadträtin, und bedanke mich für das mir entgegengebrachte Vertrauen.


Auf die politische Zukunft Winterthurs bin ich gespannt!

Barbara Günthard-Maier, ehem. Stadträtin FDP

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